Rede anlässlich Christine Westenbergers Ausstellung „Fragmente“, 18.09.2016, Produzentengalerie SO-66
Der Naturalismus ist eine Plage und ihn zu überwinden stellt, wie der Philosoph Peter Rohs bemerkte, die größte
Herausforderung für die Philosophie heute dar. Dieses Urteil kann man auf die Kunst erweitern. Wir sind heute nicht
hier, um Kunstwerke wie kleine Häppchen zu uns zu nehmen, außer vielleicht am Buffet hinter mir. Kunstwerke
gleich einer genehmen Süßigkeit oder Pastete zu sich zu nehmen, ist zwar gängig, aber kontraproduktiv.
Warum dies so ist folgt noch. Eigentlich ist es gar nicht angemessen, wenn ich allgemein normative Urteile über verschiedene Genres fälle. Aber es erschien mir angesichts des Widerstreits der Werke hier mit einer andernorts vermittelten Ästhetik Zeit zu sein, den rein analytischen Rahmen für einen Moment zu verlassen. ...
I. Die jüngsten Arbeiten der Malerin Christine Westenberger im Zeitraum 2012/2013 sind Resultat einer Werkentwicklung, deren monografische Beschreibung bereits an ihren impressionistisch orientierten Landschaftssujets der Jahre 2002 bis 2004 ansetzen müsste. Denn schon in diesen Landschaften deutet sich ein Jahrzehnt zuvor eine Bildauffassung an, die Westenberger dann kontinuierlich weiter ausarbeitet und die in der aktuellen Schaffensphase den Charakter ihrer „Fragmente“ mit Industriemotiven ausmacht. ...
Christine Westenbergers Bildlandschaften beziehen sich auf keine lokalisierbaren Motive. Sie zeigen keine Ansichten. Vielmehr geht es um Zustände, um innere und äußere, um die Veränderbarkeit von Wahrnehmung und Erscheinung. Letztlich sind es die Innenbilder der Außenwelt, die Wahrnehmung mit Imagination zur Einheit zusammenschließen. Die Malerin Christine Westenberger bewegt sich auf der unsichtbaren Grenzlinie von Innen und Außen. Ihr Kompass ist ihre Empfindung.C. D. Friedrich postuliert: „Schließe dein leibliches Auge, damit Du mit dem geistigen Auge zuerst siehest dein Bild. Dann fördere zutage, was Du im Dunkeln gesehen, dass es zurückwirke auf andere von außen nach innen.“ ...